Altersarmut und Elternunterhalt

Mit Generationenkonflikten besonderer Art werden sich unsere Gerichte in Zukunft immer häufiger zu beschäftigen haben: Die Rede ist von Grund und Tragweite der Unterhaltsverpflichtung zwischen Kindern und deren Eltern. Während die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern hinlänglich bekannt ist, kann man dies von der Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern gerade nicht behaupten.

Da die Menschen in Deutschland durchschnittlich immer älter und gleichzeitig viele Senioren pflegebedürftig werden, rückt die Frage nach dem Elternunterhalt immer weiter in den Blickwinkel der interessierten Öffentlichkeit, erweist sich diese Unterhaltspflicht für viele Erwachsene immer öfter als eine „finanzielle Zeitbombe“:

Die Rente des meist älteren Menschen von durchschnittlich 1000 Euro und die Einnahmen aus der Pflegeversicherung, im Höchstfall rund 1700 Euro, reichen häufig nicht aus, um für die Pflegekosten aufzukommen. Es droht sog. „Altersarmut“ aufgrund mangelnder Vorsorge für den Fall des Älterwerdens. Denn viele Menschen versäumen es immer noch, sich aktiv mit der sozialen Absicherung im Rentenalter auseinanderzusetzen.

Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren, also auch Kinder gegenüber ihren Eltern. Davor haben viele Angst. Wenn etwa die Kinder des Pflegebedürftigen nicht zahlen können, müssen zwar die Sozialhilfeträger einspringen, doch die fordern nicht selten ihre Gelder zurück.

Jüngst beschäftigte sich auch das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, mit der Frage des Elternunterhalts und hat Grenzen der Zahlungspflicht aufgezeigt (BVerfG Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96):

Voraussetzung einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Eltern ist einerseits, daß der Unterhalt beanspruchende Elternteil außerstande ist, sich aus eigenen Mitteln selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB), bei ihm damit Bedürftigkeit vorliegt. Andererseits muß das zum Unterhalt herangezogene Kind unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen imstande sein, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts dem Elternteil Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB), es muß also leistungsfähig sein. Dabei müssen Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit zeitgleich zusammenfallen. Der Unterhalt für die pflegebedürftigen Eltern darf die Kinder nicht überfordern und deren eigene Existenz gefährden. Denn gerade die Generation der erwachsenen Kinder sieht sich heute schon anderweitigen erheblichen Belastungen ausgesetzt. So haben die Kinder nicht nur für den Unterhalt ihrer eigenen Kinder aufzukommen sondern haben sich auch noch um ihre eigene Altersvorsorge zu kümmern.

Die vom Gesetzgeber dem Elternunterhalt zugewiesene, relativ schwache Rechtsposition wird durch die neuere Entwicklung der Gesetzgebung aus jüngerer Zeit noch untermauert. Mit der schrittweise Reduzierung der Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Einführung der gesetzlich geförderten privaten Altersvorsorge („Riester-Rente“) hat der Gesetzgeber die Verantwortung jedes Einzelnen hervorgehoben, für seine Alterssicherung neben der gesetzlichen Rentenversicherung rechtzeitig und ausreichend vorzusorgen. Dies muß bei der Bestimmung des einem unterhaltspflichtigen Kind verbleibenden angemessenen Unterhalts Berücksichtigung finden. Insbesondere aber hat der Gesetzgeber mit der Einführung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 1. Januar 2003 durch das Grundsicherungsgesetz und seit dem 1. Januar 2005 durch die §§ 41 ff. SGB XII verdeutlicht, daß die Belastung erwachsener Kinder durch die Pflicht zur Zahlung von Elternunterhalt unter Berücksichtigung ihrer eigenen Lebenssituation in Grenzen gehalten werden soll.

Während das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil eine Grenze der Belastungen festlegt, gibt es noch weitere umstrittene Details: Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Ermittlung des finanziellen Bedarfs der Eltern und nach der Berücksichtigung der finanziellen Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Kindes.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (Az.: XII ZR 67/00) kommt es auf den tatsächlichen Bedarf des Elternteils an, der sich u. a. nach den Kosten der Heimunterbringung, den Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung sowie der Höhe eines angemessenes Taschengelds bestimmt. In jedem Falle aber haben die Eltern ihr eigenes Vermögen einzusetzen, bevor die Unterhaltspflicht der Kinder greift. Außerdem hat das unterhaltsbedürftige Elternteil zunächst den eigenen Ehepartner in Anspruch zu nehmen, bevor er sich an seine Kinder wenden kann.

Müssen ein Vater oder eine Mutter tatsächlich ein Kind in Anspruch nehmen, gilt zunächst die Vermutung, daß dieses auch finanziell leistungsfähig ist. Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichte ist es dann am Kind, seine mangelnde Leistungsfähigkeit zum Unterhalt zu beweisen. Der eigene angemessene Unterhalt stellt unterhaltsrechtlich grundsätzlich die Grenze dar, bis zu der vom unterhaltspflichtigen Kind der Einsatz seines Einkommens und Vermögens verlangt werden kann. Was dem Unterhaltspflichtigen unter diesen Voraussetzungen verbleiben muß, hat der Gesetzgeber nicht näher konkretisiert, es bedarf insofern der Auslegung durch die Gerichte.

Der Bundesgerichtshof hat seine grundsätzlichen Aussagen zur Unterhaltspflicht durch seine Entscheidungen aus jüngerer Zeit präzisiert: Maßgebend für den eigenen angemessenen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen sei seine Lebensstellung, die seinem Einkommen, Vermögen und sozialen Rang entspreche. Hiernach bestimme sich sein Lebensbedarf einschließlich einer angemessenen Altersversorgung. Sein Eigenbedarf richte sich deshalb nicht an einer festen Größe aus. Jedenfalls müsse er eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Lebensniveaus nicht hinnehmen, sofern er nicht einen unangemessenen Aufwand betreibe und nicht in Luxus lebe (vgl. BGH, FamRZ 2002, S. 1698, 1700 ff.). So sei auch eine Veräußerung oder Vermietung des Familienheims unterhaltsrechtlich nicht zumutbar, wenn dies die bisherige Lebensführung des unterhaltspflichtigen Kindes grundlegend beeinträchtige. Auch sei zu prüfen, ob eine Verwertung des selbst genutzten Grundbesitzes aus Gründen der eigenen Altersversorgung nicht erwartet werden könne (vgl. BGH, a.a.O., S. 1179, 1180 ff.). In diesem schwächer ausgestalteten Unterhaltsrechtsverhältnis von erwachsenem Kind mit eigener Familie zu seinem betagten Elternteil brauche der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, wenn dies für ihn mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre (vgl. BGH, FamRZ 2004, S. 1184, 1185 f.).

Die Bundesrichter haben zwischenzeitig auch anerkannt, daß die Unterhaltsansprüche der eigenen Kinder und des Ehegatten der Pflicht zum Elternunterhalt vorgehen (Az.: XII ZR 266/99): So steht zum Beispiel der Ehefrau die Hälfte des Einkommens des Mannes zu. Dessen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Eltern berechnet sich aus dem Restbetrag. Dieser Betrag verringert sich weiter um die Unterhaltsansprüche der eigenen Kinder.

Trotz der Karlsruher Grundsatzentscheidung zum Elternunterhalt wird es auch weiterhin Sozialämter geben, die „über die Stränge schlagen": Den Angehörigen ist zu empfehlen, bei Forderungen der Ämter ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen zu legen und fachkundigen Rat einzuholen. Es ist wichtig, den Sozialhilfeträger nicht gänzlich allein agieren zu lassen, etwa bei der Auswahl des Pflegeheimes. Forderungen der Sozialämter lassen sich von Anfang an vermeiden, wenn die staatlichen Leistungen wirklich nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die notwendigen Aufwendungen nicht alleine getragen werden können; dies ist nicht immer der Fall.

Die hier dargestellten Inhalte dienen lediglich der ersten, überblicksartigen Information des Ratsuchenden und sind keinesfalls geeignet, die persönliche und verbindliche Beratung durch den Rechtsanwalt zu ersetzen. Alle Angaben erfolgen demnach unverbindlich und ohne Gewähr.

Rechtsanwalt Christoph Roland Foos, LL.M.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Erbrecht - Magister der Verwaltungswissenschaften
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