Der "digitale Tod"

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Beachten Sie zu diesem Thema bitte auch den Artikel "Apple, Facebook, Netflix und Co. - Was mit Online-Accounts nach dem Tod passiert" in der Online-Zeitschrift "Netzwelt" des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel"; mit dem Autor konnte ich zuvor ein ausführliches Hintergrundgespräch / Interview führen.

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Im Dezember 2023 hatte ich die Gelegenheit, mich in einem Radio-Interview für das Hörfunkprogramm des SWR zum Thema "Digitaler Nachlass" zu äussern (Sa., 02.12.2023, 12:15 Uhr, Geld, Markt, Meinung, SWR2)

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Mit seinem Grundsatzurteil vom Urteil vom 12.07.2018 zum Aktenzeichen III ZR 183/17 hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) sehr ausführlich mit den verschiedensten Fragestellungen auseinandergesetzt, die sich mit dem sog. "digitalen Nachlass" verbinden. Bevor ich weiter unten dieses Urteil ausführlich vorstelle, einige grundsätzliche Überlegungen zu dieser Thematik:

50 Millionen Deutsche nutzen das Web, 30 Millionen davon haben Profile in Online-Communitys. Unter den 850.000 Menschen, die jedes Jahr in Deutschland sterben, sind immer mehr PC- und Internet-Nutzer. Doch was passiert mit den Daten, wenn ein Hightech-Anwender stirbt? Der Branchenverband BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., Berlin) rät Angehörigen, den digitalen Nachlass genauso sorgfältig zu beachten wie Schriftstücke aus Papier. „Im digitalen Nachlass können sich wichtige Informationen für Hinterbliebene befinden“, sagt BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer. „So werden Versicherungs- und Kreditverträge immer häufiger nur noch digital hinterlegt.“ In der digitalen Hinterlassenschaft kann sich aber auch die eine oder andere Überraschung verbergen. Auch der Branchenverband BITKOM rät zu einem bewussten und offenen Umgang mit dem Thema.

Soweit erkennbar, werden zwar in Ansätzen schon die Auswirkungen eines digitalen Nachlasses diskutiert. Weitgehend unberücksichtigt scheint aber noch der Fall zu sein, dass man zwar noch lebt, aber seine Geschäftsfähigkeit verloren hat, im Koma liegt oder nicht mehr in der Lage ist, sich zu artikulieren bzw. seinen Willen zu äußern. Während Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen im gesundheitlichen, geschäftlichen und finanziellen Bereich für solche Fälle mittlerweile in aller Munde sind, sind Vorsorgevollmachten für digitale Belange kaum ein Thema.

Eine „Digitale Vorsorgevollmacht“, man könnte auch „Elektronische Vorsorgevollmacht“ oder „e-Vorsorgevollmacht“ sagen, ist jedoch ebenso wichtig und notwendig im Hinblick auf unser immer stärker digitalisiertes Leben.

Der Begriff „Digitale Vorsorgevollmacht“ ist noch nicht geprägt, er wird aber in den kommenden Jahren sicherlich mehr und mehr relevant werden, wenn die Generation der ersten Internetnutzer ins Alter kommt. In einer digitalen Vorsorgevollmacht können beispielsweise alle wichtigen Online-Dienste-Zugänge an einer zentralen Stelle niedergeschrieben werden, so etwa den Zugang zum eigenen Blog, zu iTunes, zum Dating- Profil, zum E-Mail-Postfach, zu den Fotos auf Flickr, zum Jobprofil auf Xing, zum Online- Banking, zum Webhosting, zu PayPal oder zu eBay. Denn der digitale Nachlass ist genauso wichtig wie der der analoge in Papierform; auch dort können wichtige Informationen und Werte liegen; so etwa digital hinterlegte Versicherungs- und Kreditverträge oder Guthaben.

Stellen Sie sich vor, Sie verunglücken schwer und können nicht mehr Ihren Willen äußern, können aber am Leben erhalten werden und sind bei Bewusstsein. In einem solchen Fall könnte eine „Digitale Vorsorgevollmacht“ regeln, was mit Ihren digitalen Identitäten und Daten geschehen soll. So können Sie beispielsweise erreichen, dass nicht nur nach Ihrem Ableben, sondern schon zu Ihren Lebzeiten sichergestellt ist, dass mit Ihren Daten so umgegangen wird, wie Sie es wünschen, und nicht gegen Ihren Willen in Ihren Daten „geschnüffelt“ wird.

Im Rahmen der „Digitalen Vorsorgevollmacht“ können Sie dann nicht nur bestimmen, was mit den Daten passieren soll, sondern auch, wer sich darum kümmern soll. So können Sie z.B. einen guten Freund mit der Schließung Ihrer Profile beauftragen und so vermeiden, dass sich Ihre Eltern, Ihr (Ehe-)Partner, Geschwister oder ein gerichtlich eingesetzter Betreuer darum kümmern. Eine andere Möglichkeit, um die notwendigen Regelungen zu treffen, ist deren Verortung in einem Testament: Wer seinen Erben die Suche ersparen möchte, regelt den digitalen Nachlass am besten in einem Testament und hinterlegt die Zugangsdaten an einem sicheren Ort (beispielsweise zusammen mit dem Testament selbst in der amtlichen Verwahrung des Amtsgerichts). Im Testament kann der Internetnutzer auch festhalten, dass er nicht möchte, dass seiner Familie bestimmte Daten zugänglich sind der aber er benannt beispielsweise einen Testamentsvollstrecker, der gewisse Daten / Accounts zu löschen hat, andere Daten aber den Erben zugänglich macht etc.

Auch wenn die Vererblichkeit - beispielsweise eines Facebook-Kontos - zwischenzeitlich höchstrichterlich durch den BGH geklärt ist, vgl. unten, sollte im Sinne des "sichersten Weges" auch Vorsorge im Wege einer "Digitalen Vorsorgevollmacht" getroffen werden !

Mit seinem Urteil vom 12.07.2018 - III ZR 183/17 hat der BGH entschieden, dass der Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk geht grundsätzlich im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben des ursprünglichen Kontoberechtigten übergeht. Diese haben damit einen Anspruch gegen den Netzwerkbetreiber auf Zugang zu dem Konto einschließlich der darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalte.

Die Tochter der Klägerin starb unter ungeklärten Umständen bei einem U-Bahn-Unglück . Die Klägerin ist die Mutter der im Alter von 15 Jahren verstorbenen L. W. und neben dem Vater Mitglied der Erbengemeinschaft nach ihrer Tochter. Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk Facebook, über dessen Infrastruktur die Nutzer miteinander über das Internet kommunizieren und Inhalte austauschen können. 2011 registrierte sich die Tochter der Klägerin im Alter von 14 Jahren im Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk der Beklagten und unterhielt dort ein Benutzerkonto. 2012 verstarb das Mädchen unter bisher ungeklärten Umständen infolge eines U-Bahn-Unglücks.

Die Klägerin versuchte hiernach, sich in das Benutzerkonto ihrer Tochter einzuloggen. Dies war ihr jedoch nicht möglich, weil die Beklagte es in den sogenannten Gedenkzustand versetzt hatte, womit ein Zugang auch mit den Nutzerdaten nicht mehr möglich ist. Die Inhalte des Kontos bleiben jedoch weiter bestehen. Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage von der Beklagten, den Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, insbesondere zu den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten. Sie macht geltend, die Erbengemeinschaft benötige den Zugang zu dem Benutzerkonto, um Aufschluss darüber zu erhalten, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidabsichten gehegt habe, und um Schadenersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwehren.

Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben (DNotZ 2016, 537). Auf die Berufung der Beklagten hatte das Kammergericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (DNotZ 2018, 286). Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin. Der BGH hat das Urteil des KG aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt.

Mit seinem vorbezeichneten Urteil hat der BGH nun entschieden, dass die Erben gegen die Beklagte einen Anspruch haben, ihnen den Zugang zum Benutzerkonto der Erblasserin und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Dies ergebe sich aus dem Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Klägerin und der Beklagten, der im Weg der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Erben übergegangen sei. Dessen Vererblichkeit sei nicht durch die vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen. Die Nutzungsbedingungen enthielten hierzu keine Regelung. Die Klauseln zum Gedenkzustand seien bereits nicht wirksam in den Vertrag einbezogen. Sie hielten überdies einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht stand und wären daher unwirksam. Auch aus dem Wesen des Vertrags ergibt sich nach Ansicht des BGH keine Unvererblichkeit des Vertragsverhältnisses. Insbesondere sei dieser nicht höchstpersönlicher Natur. Der höchstpersönliche Charakter folge nicht aus im Nutzungsvertrag stillschweigend vorausgesetzten und damit immanenten Gründen des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Kommunikationspartner der Erblasserin. Zwar möge der Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks in der Erwartung erfolgen, dass die Nachrichten zwischen den Teilnehmern des Netzwerks jedenfalls grundsätzlich vertraulich bleiben und nicht durch die Beklagte dritten Personen gegenüber offengelegt werden. Die vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten sei jedoch von vornherein kontobezogen. Sie habe nicht zum Inhalt, diese an eine bestimmte Person zu übermitteln, sondern an das angegebene Benutzerkonto. Der Absender einer Nachricht könne dementsprechend zwar darauf vertrauen, dass die Beklagte sie nur für das von ihm ausgewählte Benutzerkonto zur Verfügung stellt. Es bestehe aber kein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und nicht Dritte von dem Kontoinhalt Kenntnis erlangen. Zu Lebzeiten müsse mit einem Missbrauch des Zugangs durch Dritte oder mit der Zugangsgewährung seitens des Kontoberechtigten gerechnet werden und bei dessen Tod mit der Vererbung des Vertragsverhältnisses. Eine Differenzierung des Kontozugangs nach vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten scheide aus. Nach der gesetzgeberischen Wertung gingen auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. So würden analoge Dokumente wie Tagebücher und persönliche Briefe vererbt, wie aus § 2047 Abs. 2 und § 2373 Satz 2 BGB zu schließen sei. Es bestehe aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln. Einen Ausschluss der Vererblichkeit aufgrund des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin hat der BGH ebenfalls verneint. Auch das Fernmeldegeheimnis stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Der Erbe sei, da er vollständig in die Position des Erblassers einrückt, jedenfalls kein "anderer" im Sinne von § 88 Abs. 3 TKG. Schließlich kollidiere der Anspruch der Klägerin auch nicht mit dem Datenschutzrecht. Der BGH hatte hierzu die seit 25.05.2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) anzuwenden. Diese stehe dem Zugang der Erben nicht entgegen, entschieden die Richter. Datenschutzrechtliche Belange der Erblasserin seien nicht betroffen, da die Verordnung nur lebende Personen schütze. Die der Übermittlung und Bereitstellung von Nachrichten und sonstigen Inhalten immanente Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Kommunikationspartner der Erblasserin sei sowohl nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO als auch nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO zulässig. Sie sei sowohl zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Kommunikationspartnern der Erblasserin erforderlich (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Var. 1 DS-GVO) als auch aufgrund berechtigter überwiegender Interessen der Erben (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DS-GVO).

Rechtsanwalt Christoph Roland Foos, LL.M.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Erbrecht - Magister der Verwaltungswissenschaften
Gartenstraße 8 - D-76872 Winden / Pfalz - Telefon: +49 6349 962985 - Telefax: +49 6349 962987

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